Ich poste heute mal Grünkohl. Zumindest Grünkohl-Fotos. Eine meiner Leibspeisen. Außerdem verrate ich Dir ein Geheimnis: Ich bin mit herzhaft-deftiger Teutonenkost aufgewachsen. Eintöpfe gehören zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen. Hättest Du nicht gedacht, oder? Außerdem fragst Du Dich bestimmt, wieso mein Post wieder so einen merkwürdigen Titel hat. Das erzähl’ ich Dir jetzt.
Setz’ Dich besser bequem hin, und hol’ Dir was zu trinken, dass dauert hier wieder länger. Allora:
Wir schreiben das Jahr 1911. Am 12. Januar verlässt die SS San Giorgio den Hafen von Messina und schippert in Richtung Amerika. Unter den Reisenden befindet sich auch Signorina Giuseppa Carmela Scuderi nebst Familie mit Ziel New York. Am 29. Januar betritt sie zum ersten Mal amerikanischen Boden: Ellis Island. Der Master Officer Antonio Romano bearbeitet die Einwanderungspapiere der Passagierin Scuderi mit der Nummer 55/25. Er stellt fest, dass ihre Haut “rosy” ist. Ihre Haarfarbe ist “chestnut” und ihre Augen sind “light” (komische Farbe, oder??). Außerdem misst sie 5ft1 (überragende 1,53 m). Surgeon Albano Sowieso bestätigt, dass sie gesund ist. Alles klappt zunächst. Die Scuderis beziehen Quartier in der Lower East Side, 214 Mott Street, damals noch Little Italy, heute Chinatown.
Sie eröffnen einen “Frutta Store”. (Ich glaube aber eher, dass der ganze Store aus so einem Handkarren bestand, wie Du ihn hier auf dem Foto unten rechts siehst. So weit, so gut. Oder eben auch nicht. Es läuft nämlich nicht so, mit dem “business”, und das Heimweh wird groß und größer. Nach 3 oder 4 Jahren (ich weiß es nicht genau) kommt dann der “rientro in patria”, d.h. alle zurück in die Heimat.
Wäre Signorina Giuseppa Scuderi dort geblieben, gäbe es bei mir keinen Grünkohl.
Zurück in Messina heiratet sie Don Carmelo (baciamo-le-mani) aus Catania, zieht mit ihm nach Kalabrien und schenkt ihm im Laufe der Jahre 9 Kinder: Vincenza, Alfio, Salvatore, Sara, Emmanuele, Giuseppe, Caterina, Paolo und Anna-Maria. Zur gleichen Zeit ehelicht Fräulein Lina Maria Heinicke in Leipzig einen Herrn namens Paul. Die beiden bekommen 2 Töchter. Christa und Johanna.
Passt nun nicht ganz in den Erzählfluss: Die Kohlwurst für meinen Grünkohl.
Sechs der Sprösslinge von Giuseppa und Carmelo wandern aus. “Germania” heißt das gelobte Land. Und auch eine der Töchter aus Sachsen hat Hummeln im Hintern. Sie hat eine Tante im Westen. Grund genug “rüber zu machen”. Wir schreiben das Jahr 1950. Die Tante heißt Liska, ihres Zeichens eine gestrenge, evangelische Diakonie-Schwester… Mit der Volljährigkeit hat das Sachsen-Mädel die Schnauze voll vom protestantischen Damenstift. Sie haut ab. Ihre Jugendfreundin Anita lebt im Rheinland, und Christa “macht hin”. Anita lernt einen amerikanischen Piloten kennen, und geht mit selbigem nach Alaska.
Und Christa? Die erliegt bald dem Charme eines glutäugigen Italieners. Giuseppe. Pomadisiertes Lockenhaar, schwarze Lackschuhe. Er kann singen, er kann tanzen, er kann Gitarre und Schlagzeug spielen und er sieht aus wie die Quintessenz aus Adriano Celentano und Jean-Paul Belmondo. Er ist wohl ein rechter Weiberheld, der die Romanze nicht ganz so ernst nimmt. Als er sich irgendwann im Heimaturlaub in Kalabrien vergnügt, schreibt Christa ihm: “Wie geht es Dir? Mir geht es gut. das Wetter ist schön. Wir bekommen ein Baby”. Das erzählt er seinen Eltern erst mal nicht. Giuseppa und Carmelo bekommen aber Wind davon, und schwuppdiwupp, packt Giuseppa ihren Sohn Giuseppe, fährt mit ihm nach Germania, und es wird flugs geheiratet. So gehört es sich.
Im Dezember 1965 kommt dann ein wunderschönes Mädchen zur Welt: Ich.
Hier dann noch mal ein Rezept-Bild, denn das ist hier schließlich ein Koch-Blog….
Wie Du nun weißt, bin ich nur “mezza”, also halb-italienisch. Unsere Küche zuhause war überwiegend Deutsch, denn:
Irgendwann klappt es nicht mehr so, zwischen Giuseppe und Christa. Ich bekomme einen Bruder (Jahrgang 1970) und eine Schwester (auch Jahrgang 1970). Nein. Es sind keine Zwillinge, sie haben verschiedene Mütter…. Giuseppe sieht immer noch aus wie Belmondo-Celentano, und beglückt die Frauenwelt….und muss gehen, denn dass macht eine ordentliche Frau nicht mit. Christa lässt sich scheiden, bleibt mit meinem Bruder und mir allein, und kocht Wirsing, Möhren, Grünkohl…
Und ich? Eines Tages lerne ich den Herrn Peppinello kennen. Und damit seine gesamte Sippe. Ich lerne echtes italienisches Familienleben kennen, mit all seinen täglichen großen und kleinen Dramen. Herrn Peppinello’s Mamma nimmt mich unter ihre Fittiche, mit dem Ziel, eine “buona moglie” aus mir zu machen. Es gelingt (behaupte ich mal).
Und trotzdem: Das Teutonen-Gen in mir lebt weiter, mitsamt Grünkohl.
Der Vollständigkeit halber, will ich Dir zum Schluss noch erzählen, dass ich die Einzige von uns Geschwistern bin, die mit einem Italiener verheiratet ist. Mein Bruder heiratete eine deutsche Blondine, und hat 4 Kinder mit ihr. Meine (Halb)-Schwester Nummer 1 ist ebenfalls verheiratet, und hat 4 Kinder.Tja…. Meine (Halb)-Schwester Nummer 2 ist ledig und kinderlos. Sie ist 12 Jahre alt. Mein Vater sieht auch heute wohl noch aus, wie eine Mischung aus Belmondo und Celentano, ist aber zwischenzeitlich, wie die beiden Herren auch, in die Jahre gekommen. Er lebt (allein) in Kalabrien. Meine Mutter hat sich seit vielen Jahren den Zeugen Jehovas verschrieben. (echter Stoff für eine Tele-Novela, oder?)
Zu beiden Elternteilen habe ich keinen Kontakt.
Meine “famiglia” sind Maria und Agostino, meine Schwiegereltern, die ich über alle Maßen liebe. Irrungen und Wirrungen moralischer oder religiöser Natur, wie bei meinen Leuten gibt es bei ihnen nicht. Einzige Ausnahme war wohl Nonna Veronica, deren Makel darin bestand, dass sie “evangelista” (evangelisch) war, was sich aus dem Mund meiner Schwiegermutter so anhört, als sei sie bei den Scientologen, den Baghwans oder schlimmer, gewesen.
MEIN GOTT! Genug gelabert. ich werde jetzt mal schauen, was Du so alles gekocht hast.
Unglaublich, was du uns da immer auftischst! Kein Essen ohne passende Geschichte. Das mag ich. Beim Essen soll man schliesslich schwelgen, nicht schweigen.
AntwortenLöschenWie so viele Familiengeschichten - zum Lachen, zum Weinen, zum Lieben ... schön, daß es mit Deinen Schwiegereltern klappt und Du dort "Unterschlupf" gefunden hast.
AntwortenLöschenMeine Mama ist auch eine "evangelista", was in den Augen meiner Schwiegereltern als Sünde nicht zu toppen war.
Da habe ich mich doch schon lange gefragt, wie sich das bei Euch verhält mit den Familienverzweigungen... jetzt weiß ich´s und kann nach dieser netten Gute-Nacht-Geschichte amüsiert und beruhigt ins Bett gehen...Danke ;)
AntwortenLöschenbei Deinen storielle vergisst man das Essen.
AntwortenLöschenja, Telenovela! Gibt's noch ein paar Morde oder so, dann wird's Dynasty! Eine Ranch bräuchtet Ihr auch noch....
AntwortenLöschenUNd das Essen, herrlich! Nein, ich bin keine Blog Factory, bei uns wird jeden Tag gut gegessen und ich stelle halt alles rein, das ist alles!
Deine Geschichten liebe ich - schön! :-)
AntwortenLöschenWas das Essen angeht, da weiß ich nicht so recht... Norddeutsche Freunde meinen immer, ich solle Grünkohl mit Pinkel oder anderer Wurst mal probieren, aber irgendwie traue ich mich nicht ran. ;-)
Wann gibt es das erste Buch von dir? Sag' mir bitte rechtzeitig Bescheid! :-)
AntwortenLöschenUnd Grünkohl...gerne!
Ich liebe Familiensagen und diese ist eine "di tutto rispetto". Da kann ich mit der Geschichte meiner deutsch-italienischen Eltern nicht mithalten, auch wenn sie ein paar Liebe-Drama-Wahnsinn-Komponenten enthält.
AntwortenLöschenBeeindruckende Geschichte, danke, dass du sie mit uns teilst.
Salutoni
Alex
Du hättest dazu Bilder von Popcorn, Chips und anderen Knabbereien posten sollen - bei so spannenden Geschichten brauch ich immer was zu knabbern ;o)
AntwortenLöschenSehr spannende Geschichte!
Es ist kurz vor Mittag und ausgerechnet jetzt habe ich Deinen BLOG gefunden.
AntwortenLöschenNun habe ich Hunger und komme später zum lesen zurück. Ganz bestimmt!
Es grüßt der Werner.
Groooßartig! Vielen Dank, liebe Peppinella. Ich wünschte, ich könnte meine spanisch-polnisch-italienische Verwandtschaft mit ihrem Zwangsarbeiter-Gastarbeiter-Auswandererhintergrund mit ebenso großem Humor nehmen.
AntwortenLöschen(Eigentlich habe ich die Pflicht, mal wieder die unmögliche italienische Tante Barbara in Latio zu besuchen - um Geschichten darüber bloggen zu können. Außerdem: Kochen kann sie wirklich, die Tante)
Ich mag so Familiengeschichten :) Und freut mich, dass sie doch noch ein Happy-End hat für Dich :-) Bin ja auch so ein halbes Gastarbeiterkind, auch wenn Herr Papa erst Mitte der 70er Jahre aus Ungarn in die DDR kam, aber alles nicht halb so spannend ...
AntwortenLöschenEine der schönsten Geschichten, die ich in den letzten Jahren gelesen hab. Titanic säuft dagegen ab ;-) Was kannst Du eigenlich besser, kochen oder schreiben? - ich weiß es nicht.
AntwortenLöschenKomplimente und lG aus Wien
Klingt wie ein Drehbuch von Coppola. Toll erzählt. Der Grünkohl sieht natürlich auch gut aus.
AntwortenLöschenSo toll deine Kochkünste so toll deine Erzählkunst. Warte auch auf das erste Buch !
AntwortenLöschenFreue mich auf die nächste schöne Geschichte von
AntwortenLöschenDir.
Mein Mann liebt Grünkohl, ich persönlich mag
Grünkohl nicht so gerne
Ich mag Grünkohl! Aber VIEL LIEBER mag ich deine Geschichten! Wunderbar wie du erzählen kannst. Ich erklär dich zu meiner Lieblingsbloggerin:-))) Gutes Essen gibts auf vielen Blogs aber die schönsten Geschichten gibts bei dir zu lesen!
AntwortenLöschenpuh! ich sag' einfach mal..@ALLE:
AntwortenLöschenDANKE!!! Ihr macht mich wirklich verlegen.
Irgendwie interessiere ich mich plötzlich nicht mehr so dringend für Rezepte. Das liest sich ja fast so wie bei Familie Marcipane... herrlich!
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