3. November 2014

Mittelaltermarkt mit den Ostgoten, Herrn Peppinello und Annika, oder: Alibimäßiges Oliven einlegen.

Das Mittelalterfest. Oder Mittelaltermarkt. Wie auch immer. Dieses Event findet seit einigen Jahren hier bei uns statt. Immer zu Füßen unserer Basilika. Der Heilige Quirinus sieht von der Kirchturmspitze zu. Und ich. Also ich stehe nicht auf der Kirchturmspitze, aber ich schaue zu. Besser gesagt ich starre die Leute an. Immer auf der Suche nach Frauke und Bernhard.

Obwohl wir eigentlich ziemlich nah dran wohnen, gehen wir nicht zu Fuß, trotz des schönen Wetters. Wir müssen mit dem Auto fahren, weil ich unbedingt diese Dinger mit den hohen Absätzen anziehen muß, denn sie machen bei Röhrenhosen einfach ein schöneres Bein. Ich habe nämlich kein Mittelalter-Outfit. Es dauert eine ganze Weile, bis wir einen Parkplatz finden (Wünsche-ins-Universum-schicken funktioniert immer noch nicht.) Herr Peppinello ist ein wenig garstig, denn wir hätten ja auch gleich hinlaufen können.

Als wir da sind, hören wir schon von Weitem die Musik. Dudelsäcke. Trommeln und irgendein Streichinstrument. Glaube ich. (Das Internet weiß alles. Das Instrument heißt Säbelzahnkarpfenbass.)

Ich beschleunige trotz der Absätze mal meine Schritte und drängele mich durch die Menschen. Der Herr Peppinello fällt zurück. Der junge Peppinello ist irgendwo dazwischen. Das ist immer so. Je schneller ich gehe, desto mehr schleicht der Mann. Er macht das absichtlich. Ich bin überzeugt davon. Selbsttests bestätigen meine Vermutung immer wieder. Wenn ich nämlich das Gegenteil von dem tue, was ich sonst immer tue (vorrennen), und mich in Schneckentempo fallen lasse (was mich ziemlich kribbelig macht), dann wird er noch lahmer. Irgendwann bleibt er ganz stehen. Und ich hinter ihm auch (habe dann immer schon Puls). Er wird immer wütend und sagt Sachen wie: “Wir können auch nach Hause fahren, wenn du jetzt schon anfängst zu nerven.”

Also lasse ich das Schleichen gleich ganz, bemühe mich aber, nicht zu sehr den Pacemaker zu geben. Es fällt mir allerdings schwer.

Oliven 2014 Collage1

DAS REZEPT FÜR DIE OLIVEN FINDEST DU AUCH BEI PEPPINELLA: SCROLL NACH UNTEN.

Und die Musiker nennen sich “Cradem – die letzten Ostgoten”.

An diesem Punkt gestehe ich, dass ich den Post vor 3 Wochen angefangen habe. Hier und jetzt (also heute) habe ich den Faden verloren.

  1. Der Mittelaltermarkt ist schon längst vorbei. In Düsseldorf bauen sie bereits die Buden für den Weihnachtsmarkt auf.
  2. Ein großes Glas Oliven ist schon leer gegessen.

Peppinella, mach was.

Ich beschwöre die Erinnerung herauf. Also. Diese Band, die letzten Ostgoten, die sind gar nicht schlecht. Nett anzusehen. Bisschen viel permanente Körperbemalung. Alle gut trainiert. Blond. Haare an den Seiten kurz. Oben lang, hinten zum Pferdeschwanz gebunden. Einer hat einen langen geflochtenen Zopf. Dem Herrn Peppinello gefallen sie selbstredend nicht. Sie spielen also auf ihren Säbelzahnkarpfenbassen und Dudelsäcken, stampfen dazu mit den Füßen. Es gibt Rauch und Qualm, wie sich das gehört. Der Liedtext besteht aus “Hey-Hey-Hey” (konnten die Ostgoten sich eventuell noch nicht anders artikulieren? Oder ist das rituell? Ich habe wenig Ahnung.) Allerdings konzentriere ich mich auch mehr auf das Publikum. Paare, Familien mit Kindern (ausschließlich Bildungsbürgertum), andere Ostgoten in Lumpenkleidung – Männer langhaarig, schwarzgefärbt und gepierct, Frauen langhaarig, hennarot gefärbt. Männlein wie Weiblein mit meist mittelblond nachgewachsenem Ansatz am Scheitel. Und Groupies. Also Frauen ohne Begleitung, die von den Ostgoten nahezu hingerissen sind. Sie schütteln die Haare im stampfenden Rhythmus und können die Augen kaum vom geflochtenem-Zopf-Goten losreißen. Ich vermute jedoch, dass er mit der hübschen, asiatisch anmutenden Gitarristin verbandelt ist. Die kann übrigens auch Feuer spucken. Also…das sind Vermutungen meinerseits. Außer das mit dem Feuerspucken. Das kann sie nämlich wirklich.

 Oliven einlegen 2014 Collage2

ICH LEGE JEDEN OKTOBER OLIVEN EIN. DAS GEHT SO: KLICK.

Ganz besonders fasziniert mich eine Dame in kobaltblauer Wetterjacke. Sie ist ein bisschen pummelig, trägt eine Brille und hat keine hennarot gefärbten Haare. Wie soll ich die Frisur beschreiben. Du kennst doch noch die alten Pippi Langstrumpf Filme, oder? Pippi, Tommi und seine weinerliche Schwester Annika. So wie Annika. Neee, was hast du die Haare schön! Kreuzbrav.

Hans-Werner, ich weiß, was du jetzt denkst. Ist mir aber schnuppe. Die Frau wird das hier nie lesen. Hoffe ich. Das mit dem Verlinken halte ich übrigens ein, mein Freund.

jedenfalls ist diese Annika völlig hin und weg. Sie kann ihre Augen nicht von denen lassen, ich meine nicht von ihr. Natürlich stupse ich fortwährend den Herrn Peppinello an. Natürlich amüsiere ich mich königlich. Und natürlich sage ich (mit der Hand vor dem Mund): “Guck mal die mit dem blauen Anorak. Guck doch mal. Guck!”

Natürlich sinkt seine Laune unter den Nullpunkt. Natürlich geht er ein Stück von mir weg. Und natürlich sagt er: “Du bist bekloppt. Komm jetzt, oder wir fahren gleich nach Hause.”

Ich finde das sehr schade. Daheim stalke recherchiere ich im Internet. Ich finde die Seite der Ostgoten. Sie spielen auf vielen Festen und haben eine beachtliche Fan-Gemeinde. Viele Einträge im Gästebuch, aus vielen Städten. Natürlich auch aus meiner Stadt, von unserem Fest.

“Ihr wart der Hammer letztes Wochenende in .... einfach geil!”, steht dort.

Geschrieben hat es ein weiblicher Fan mit dem Namen Die Herrin. Das ist sie. Bestimmt. In ihrer Welt ist Annika eine Herrin. Sie trägt natürlich auch keinen kobaltblauen Wolfskin-Anorak, sondern irgendein neckisches Gewand mit Bändern und Schleifen. Sie hat auch nicht diese Frisur, sondern eine wilde ungebändigte Mähne, die sie zum Takt der Dudelsäcke hin und her schmeißt. Ganz sicher. Als ich meine Vermutung dem Herrn Peppinello mitteile, sagt er nur: “Du bist total bescheuert. Lass mal die Leute in Ruhe!”

  1. Ich lasse die Leute in Ruhe. Ich tue ihnen nichts. Sie leben nur in meinem Kopf weiter.
  2. Herr Peppinello! Bist du gar der böse Hans-Werner?

Wir gehen also weiter. Ich halte erst mal die Klappe, damit wir nicht sofort nach Hause fahren. An einem Stand mit Schmuck kaufe ich einen bronzenen Ring. So einer, der garantiert keine grünen oder schwarzen Streifen auf die Finger macht. Sagt die Marktfrau. Im Nachhinein werden mich meine Finger Lügen strafen. Sieht aus wie Schimmel mit Grünspan. Im Zelt gegenüber gibt es einen Schmied. Viele Kinder schauen fasziniert zu, während er – ohne ein einziges Wort zu sprechen – eine Schere schmiedet. Natürlich hat auch er ein mittelalterliches Gewand an. Dazu trägt er eine Brille von Fielmann. Die scheinen schon lange im Geschäft zu sein. Ich würde eigentlich gern am nächsten Zelt halten. Da gibt es jede Menge Filzkappen und Turbane uns so Zeug. Wollte ich schon immer mal ausprobieren. Aber. Dann führen wir wohl schneller nach Hause, als ich die Kappe wieder vom Kopf hätte. Der junge Herr Peppinello will zum Vorplatz der Kirche. Hier hat sich zwischenzeitlich eine Menge Bildungsbürgertum mit Anhang versammelt. Es gibt Schwertkämpfe. Passend dazu hat jedes kleine Kind (heißen alle Helene, Mathilde, Karl oder Frederick. Kevin, Dennis und Jaqueline sitzen wohl zuhause vorm Fernseher)von den Eltern ein Holzschwert bekommen.

Die Gaukler mit den echten Schwertern liefern sich eine Art Schaukampf. Sie brüllen, lassen die Klingen kreuzen, werfen Tische, Bänke und Einander durch die Luft. Die Kinder jauchzen und fuchteln dazu mit den Holzschwertern. “Elisabeth, pass bitte auf deine Jacke (Abercrombie) auf!”, ruft eine Mutter verzweifelt. Am Schluss besiegt Sergio, der aussieht wie Cesare Borgia aus der Verfilmung, den langen blonden Kornelius, der so tut als habe er einen Sprachfehler. Die Kinder sind glücklich. Die Eltern auch. Die Schwerter sind keine Gewaltspielzeuge. Nein.

Im letzten Zelt steht eigentlich nur ein Tisch, an dem eine pflaumenrothaarige Mittvierzigerin mit Wickelkappe sitzt (Frauke??). “Tarock” steht an dem Zelt. Sie hat ein Kartenspiel vor sich ausgebreitet. Der junge Herr Peppinello bleibt stehen. Kartenspiele faszinieren ihn. Er liebt Mau-Mau, Canasta und ganz besonders Texas Holdem.

“Was ist das?”, will er wissen. Insgeheim hofft er wohl auf ein Ründchen Poker. “Die legt Karten.”, sage ich. Versteht er nicht. Also erkläre ich: “Sie kann dir die Zukunft voraussagen. Wann du den ersten Kuss bekommst, wann du deine große Liebe triffst…” Das ist dem jungen Herrn Peppinello peinlich. Außerdem unterbricht die Kartenlegerin mich ziemlich ungehalten. “Nein. Also solchen Quatsch machen wir hier nicht.” Sie ist böse. Es ist also Ernst. “Ach so”, entgegne ich, “was denn dann sonst?” (Ich bin wirklich versucht sie zu fragen ob sie Frauke ist. Aber.

Es kommt nicht dazu. Wir fahren nämlich nach Hause. Sofort.

Das war das Mittelalterfest. Annika, oh Herrin, bitte verzeih’ mir. Herr Peppinello, bitte verzeih’ mir auch. Leser, bitte verzeiht mir – ich habe nicht auf Rechtschreibfehler überprüft. Ich poste das jetzt, bevor ich es wieder lösche.

Und: Hans-Werner, ich habe dich am Wuppertaler Bahnhof gesehen. Dazu aber demnächst mehr.